Israel im Krieg – 31. Tag

Es gab heute 51 Raketenangriffe auf Israel, hauptsächlich im Norden aus Libanon. Dort hat der libanesische Ableger der Hamas sich dazu bekannt.

Heute war ich das Auto abholen. Mohammed kam mit dem Wagen zum Bahnhof in Rosh Ha’Ayin und wir fuhren zur Werkstatt nach Kfar Bara. Ich kenne Mohammed etwa 20 Jahre, seit ich das erste Mal mit unserem Passat und einer Packung Bremsbeläge in seiner Werkstatt stand. Ich hatte die Ersatzteile zuvor in Deutschland gekauft. „Das sind ja Original-Ersatzteile“ meinte Mohammed. „Wieso überrascht es dich? Verbaut man hier etwa keine Originalteile?“ entgegnete ich. Mohammed lachte und klärte mich über die billige Fernostware auf. Die Bremsbeläge hielten länger als das Auto.

Mohammed hat immer gute Laune, auch heute. Auf dem Weg erzählte er über seine Enkel, dass sie nach der Schule zu ihm nach Hause kommen. Irgendwie kamen wir auf Erziehung zu sprechen. Seine Tochter ist Lehrerin und arbeitet in Petach Tikva. „In Petach Tikva?“ fragte ich erstaunt. Zum einen ist diese Stadt fast 100% jüdisch, zum anderen in vielen Teilen erzkonservativ. Eine arabische Lehrerin kann ich mir dort überhaupt nicht vorstellen. Natürlich interessierte mich das.

Mohammed erklärte: „Ihr habt Lehrermangel, bei uns gibt es sie im Überfluss.“ Auf Deutsch übersetzt heißt das, dass es in den jüdischen Schulen an Lehrern mangelt, während die arabischen Schulen mehr als genug haben. Mohammed erzählte weiter, dass seine Tochter nach ihrem Studium jahrelang nach Arbeit im arabischen Sektor suchte und nichts fand.

Beweis für den Apartheid-Staat?

Israel hat getrennte Schulen für seine jüdische und arabische Bevölkerung. Dies ist in beiderseitigem Einvernehmen entstanden. Arabische Schulen sind zu allermeist moslemisch, die Moslems haben ihr Wochenende am Freitag. Bei den Juden ist es der Samstag, und die Christen haben Sonntags frei. Können die Juden was dafür, dass die Christen und Moslems den falschen Ruhetag wählten?

Aber das ist natürlich nicht der einzige Grund. Die jüdische und die arabische Kultur sind anders. Beide Seiten wollten nicht, dass die eine Kultur die andere zu sehr beeinflusst. Auch werden Mischehen auf beiden Seiten nicht gerne gesehen. Wenn beispielsweise ein moslemischer Mann eine jüdische Frau heiratet, sind deren Kinder nach jüdischen Glaubensgesetzen jüdisch, aber nach islamischen Gesetzen moslemisch. Man kann die Schwierigkeit erahnen.

In arabischen Schulen wird auf Arabisch unterrichtet, Hebräisch wird als Zweitsprache gelehrt. In jüdischen Schulen wird Arabisch als optionale Zweitsprache angeboten. In den letzten Jahren hat die Regierung mehr Wert auf die jüdische Identität und Religion gelegt, Demokratie und Völkerverständigung flogen weitestgehend aus den Lehrplänen raus. Darüber hinaus gibt es auch ein religiöses jüdisches Schulsystem für Haredim, das nichts außer Bibelstudium bietet.

Die Ausnahmen bestätigen die Regel. In den letzten Jahrzehnten wurden mehrere gemischte arabisch-jüdische Schulen eröffnet, in denen Lehrer beider ethnischer Gruppen in jeweils ihrer Muttersprache unterrichten, d.h. Arabisch und Hebräisch.

Es sei auch erwähnt, dass es in Israel Scharia-Gerichte gibt, die den Moslems für zivilrechtliche Rechtsstreitigkeiten zur Verfügung stehen. Hierzu müssen aber beide Parteien mit der Wahl eines Scharia-Gerichts einverstanden sein. Es geht dabei also vornehmlich um ein Art kulturelle Autonomie.

Gesellschaftliche Veränderungen in Israel

In den letzten 10-15 Jahren hat sich in der arabischen Gesellschaft viel geändert, insbesondere, was Frauen betrifft. Diese wollen heute, wie jüdische Frauen, Teil der Arbeitswelt sein und mehr Unabhängigkeit erlangen. Man sieht es in den sinkenden Geburtenzahlen der arabischen Bevölkerung in Israel (nicht aber im Westjordanland und schon gar nicht in Gaza). Man sieht es auch in der steigenden Zahl an arabischen Frauen in den Universitäten.

Vor zwanzig Jahren, als unsere Kinder noch klein waren, beschäftigten wir zeitweise eine arabische Frau aus dem Nachbarort, um auf die Kleinen aufzupassen, wenn wir nicht da waren. Sie arbeitete im lokalen Kindergarten und freute sich auf die Nebeneinnahme. Das Besondere an ihr war, dass sie mit dem Fahrrad fuhr. In der moslemischen Gesellschaft ist das für Frauen ein Tabu.

Auch heute gibt es noch viele Tabus in der moslemischen Gesellschaft, die Frauen daran hindern, das zu tun, was sie gerne möchten. Für arabische Frauen stehen aus traditionellen bzw. religiösen Gründen relativ wenige Berufe offen. Darunter sind Erzieherin im Kindergarten, Lehrerin, Krankenpflegerin, mal abgesehen von Arbeiten wie Putzfrau, die keine Ausbildung erfordern. Heute findet man auch in den Apotheken vorwiegend arabische Apothekerinnen, was als ein hochqualifizierter und relativ gut bezahlter Beruf gilt.

Der Beruf des Lehrers bzw. Lehrerin ist leider in Israel nicht gut bezahlt, weshalb nur wenige Männer diesen Beruf wählen. Da mittlerweile jüdische Frauen in Israel in vielen Bereichen gleichgestellt sind und höhere Erwartungen an Arbeitsstelle und Lohn stellen, ist der Lehrerberuf für sie nicht mehr interessant. Für arabische Frauen, die (noch) nicht diese gesellschaftliche Gleichstellung erreicht haben, bietet aber der Erziehungssektor neue Chancen.

Erziehung als Weg der Verständigung

Bei dem Gespräch mit Mohammed wurde mir sofort klar, dass sich hier etwas Positives entwickelt. Zumindest hege ich die Hoffnung, dass durch Lehrermangel an jüdischen Schulen mehr und mehr arabische Lehrer und Lehrerinnen eingestellt werden. Im arabischen Sektor gibt es ja genug.

Es wird endlich Zeit, dass die arabische Bevölkerung Israels einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert erlangt als Taxifahrer oder Busfahrer oder wenig qualifizierte Serviceangestellte. In Schulen können arabische Lehrer(innen) vielleicht am ehesten helfen, Vorurteile gegen Araber abzubauen.

Dass das nicht leicht ist, wird jeden Tag von neuem verdeutlicht. Heute wurde eine israelische Polizistin in Ostjerusalem von einem Araber (Palästinenser) erstochen, eine zweite Polizistin verletzt. Solche Ereignisse sind gerade während des Kriegs fast an der Tagesordnung. Misstrauen gegenüber dem „Anderen“ sitzt tief. Gerade deshalb ist der tägliche Kontakt zwischen beiden Bevölkerungsgruppen so wichtig. Man muss sich kennen und respektieren lernen, möglichst schon im Kindesalter.

Hinweis: Dieser Kommentar bezieht sich ausschließlich auf die arabische Bevölkerung innerhalb Israels (mit Ausnahme von Ostjerusalem). Keinesfalls darf man diese mit den Palästinensern im Westjordanland oder denen im Gazastreifen vergleichen. Israelische Araber und Palästinenser sind zwar beides „Palästinenser“, die ersteren leben aber seit 1948 in Israel und haben die israelische Staatsbürgerschaft. Dazu aber mehr in einem separaten Beitrag.

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